Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen

<strong>Die Frauen-Zeitung von Luise Otto</strong><br>Herausgegeben und kommentiert von Ute Gerhard, Elisabeth Hannover-Drück und Romina Schmitter <br>Frankfurt /Main, Syndikat Verlag, (1979). 337 SS<br><br>„Es ist ein eindringliches Erlebnis“, schrieb Helene Lange im Jahr 1927 in der Zeitschrift Die Frau, „wenn eine Zeitschrift, die fast der Welt der Legende angehört, plötzlich in ihren beiden wohlerhaltenden Bänden vor einem liegt.“ So ähnlich ging es mir, nachdem ich jahrelang nach dem für die Anfänge einer Frauenbewegung in Deutschland so wichtigen Dokument gefahndet hatte und 1976 endlich – nach umständlichen Genehmigungsverfahren und Intourist-Buchung – die Frauen-Zeitung in der Dresdener Landesbibliothek in den Händen hielt. Dabei zeigte sich, dass

Die Frauen-Zeitung von Luise Otto

Herausgegeben und kommentiert von Ute Gerhard, Elisabeth Hannover-Drück und Romina Schmitter.
Frankfurt /Main, Syndikat Verlag, (1979). 337 SS
ISBN 3 8108 0091 0


Aus der Einleitung

„Es ist ein eindringliches Erlebnis“, schrieb Helene Lange im Jahr 1927 in der Zeitschrift Die Frau, „wenn eine Zeitschrift, die fast der Welt der Legende angehört, plötzlich in ihren beiden wohlerhaltenden Bänden vor einem liegt.“ [1]  So ähnlich ging es mir, nachdem ich jahrelang nach dem für die Anfänge einer Frauenbewegung in Deutschland so wichtigen Dokument gefahndet hatte und 1976 endlich – nach umständlichen Genehmigungsverfahren und Intourist-Buchung – die Frauen-Zeitung in der Dresdener Landesbibliothek in den Händen hielt. Dabei zeigte sich, dass die beiden Jahrgänge 1849 und 1850 – wie die Ausleihe vermerkte – seit 1927 wiederum nicht mehr benutzt worden waren. Offensichtlich für mehrere Frauengenerationen immer wieder verschüttet oder vergessen, bleibt die von Louise Otto unter dem Motto „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen“ herausgegebene Zeitschrift ein unschätzbare historische Quelle, die anschaulich über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um die 1848er Revolution informiert.

Aus der Lektüre zu lernen ist, dass  Louise Otto nicht nur eine Einzelne, Vordenkerin oder Vorläuferin war, [2]  sondern auch ihre erste politische Akteurin, eine „rote Demokratin“,[3] die bereits um 1848/49 eine soziale und politische Bewegung von  Frauen initiiert hatte. Die Frauen-Zeitung dokumentiert, wie ausgehend von Sachsen im ganzen Deutschen Bund ein verzweigtes Netzwerk, ein „einigendes Band“ von demokratischen Frauenvereinen, Bildungs- und Unterstützungsvereinen gebildet wurde. Es war Teil des revolutionären Aufbruchs zur ‚Freiheit für alle‘, zu demokratischer Selbstbestimmung und zur Einheit Deutschlands. Erst im Verlauf der politischen Ereignisse erkannten die Frauen, dass sie „vergessen“ wurden und es notwendig war, sich selbst separat, als Frauen, zu organisieren. Die in der Frauen-Zeitung veröffentlichten Berichte, politischen Kommentare, Aufrufe und literarischen Essays legen Zeugnis ab von den Bewusstwerdungsprozessen vieler Einzelner, die den Mut zur Einmischung in das politische Geschehen aus der Erkenntnis schöpften, dass ihr Schicksal kein individuelles, sondern ein allgemeines, gesellschaftliches war. Die zahlreichen Zuschriften, auch aus entfernten Regionen wie Ostpreußen, Oberschlesien oder Schleswig sowie die im sog. Blick in die Runde übermittelten Nachrichten informieren über vielfältige Aktivitäten, über Vereinsgründungen, Publikationen und die organisierte Unterstützung „Hilfsbedürftiger“. Mit der „Adresse eines deutschen Mädchens“ an die sächsische Regierung und die sich dort konstituierende Arbeitervertretung, die „Arbeiterverbrüderung“, war Louise Otto in der neuen politischen Öffentlichkeit im März 1848 populär geworden. Ihr dringender Appell, bei der „Organisation der Arbeit“  die „armen Schwestern“ nicht zu vergessen, war ihr Leitmotiv, denn „zum Volke gehören auch die Frauen.“ Die Schilderung der sozialen Not der Klöpplerinnen, Schneiderinnen, der „Dienenden“ nimmt daher in der Frauen-Zeitung einen breiten Raum ein. Darüber hinaus aber waren sich die zumeist bürgerlichen Schreiberinnen einig, dass „die Erziehung“, vor allem „die Redensart von der weiblichen Bestimmung“ schuld daran war, dass die Frauen „nur hinter verschlossenen Türen von der Freiheit flüsterten.“ (Frauen-Zeitung 1850/2)

Mit dem Scheitern der Revolution wurden die Frauenvereine wie die Arbeitervereine nachhaltig verboten und verfolgt. Speziell gegen die Frauen-Zeitung wurde in Sachsen ein Pressegesetz erlassen, das nur noch „männlichen Personen“ die verantwortliche Leitung einer Redaktion erlaubte. Louise Otto lobte sarkastisch die „Bestimmtheit“ des entsprechenden Paragraphen, der zum ersten Mal ausdrücklich Frauen die Gleichberechtigung verweigerte. Louise Otto wich für zwei Jahre nach Gera ins benachbarte Thüringen aus, nun eine „harmlose Zeitung“, wie sie selbst schrieb, „um noch mit gefesselten Händen… wenigstens mit den Ketten zu klirren.“ (Frauen-Zeitung 1851/45).

Editorische Notiz

Die nachgedruckte Ausgabe der beiden Jahrgänge 1849-1850 in der vorliegenden Buchausgabe (1979) umfasst nur eine Auswahl, etwa ein Fünftel der ursprünglichen Quelle. Die Begrenzung des Seitenumfangs war aus verlegerischen Gründen unvermeidlich, zumal die Kosten im Syndikat als Autorenverlag größtenteils von den Autor*innen zu tragen waren. Es fiel den Herausgeberinnen Elisabeth Hannover-Drück, Romina Schmitter und mir schwer zu streichen, deshalb sollen hier die Kürzungsprinzipien offengelegt werden.

Um die Entwicklung der Zeitung, ihren politischen Anspruch und ihre Vielseitigkeit vor dem Hintergrund der revolutionären Ereignisse und der sich verstärkenden Reaktion zu erhalten, wurden die Dokumente zur sozialgeschichtlichen Situation und zur Organisierung der Fraueninteressen fast vollständig wiedergegeben. Sie schienen uns für die Aufarbeitung der bis dahin vernachlässigten Geschichte der Frauenbewegung besonders wichtig. Bei zahlreichen, sich inhaltlich wiederholenden Abhandlungen zu den Themen „Emanzipation“, „Bildung und Erziehung“  und zur „Rolle der Frau  in der Familie“ haben wir eine Auswahl getroffen, die die Vielfalt der Standpunkte berücksichtigte.  Die Auslassungen besonders im zweiten Jahrgang erklären sich aus der starken Zunahme belletristischer Artikel als Folge der politischen Repression. Ebenso haben wir uns aus Platzgründen bei den literarischen Texten (Gedichte und Noveletten) auf wenige Beispiele beschränkt. Ihre literarische Qualität aufzuspüren, muss anderen Veröffentlichungen vorbehalten bleiben.

Aktuelle Nachbemerkung:

Inzwischen, seit der Vereinigung beider deutscher Staaten, sind die Archive auf beiden Seiten wieder zugänglich, haben autonome Frauenarchive beachtliche Bestände zur Geschichte der Frauenbewegung aufgebaut und stehen zur Digitalisierung durch das vom BMFSFJ geförderte Digitale Deutsche Frauenarchiv an. Die  Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. in Leipzig hat sich seit 1993 um die Sammlung, Archivierung und Publikation vieler Schriften von Louise Otto und ihrer Mitstreiterinnen verdient gemacht. Von der Frauen-Zeitung der Jahrgänge von 1849 bis 1852 stehen dort Kopien sowie ein Orts- und Namensregister zur Verfügung.


[1] Helene Lange, Louise Otto und die erste Frauenzeitung, in: Die Frau 34. Jg. (1927), Heft 5, 257-332.

[2] Gertrud Bäumer, Gestalt und Wandel. Frauenbildnisse, Berlin 1939, 348.

[3] Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a.M. 1974 [zuerst 1959], 2. Bd., 690.