Abschied vom männlichen Familienernährer – zur Geschichte eines langsam verschwindenden Geschlechtermodells

<strong>Vortrag auf der Gleichstellungstagung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung</strong> am 17. und 18. September 2015 in Berlin: <i>Genderungleichheiten in der Arbeit </i><br><br> „Was der Feminismus nicht gewollt hat“, lautete kürzlich eine Überschrift im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (vom 28. August 2015). Der fesche, etwas wirre, in der Sache gleichwohl zutreffende Artikel behandelte das Armutsrisiko alleinerziehender Mütter, die Vorurteile und Schwierigkeiten, als Single-Mutter einen Job zu finden, ihre Mehr-Belastung und Mehr-Arbeit. Erleichtert wird notiert: „Es ist keine Schande mehr, wenn eine Frau ohne Partner ein Kind aufzieht.“ Doch die wiederholten Anspielungen auf den Feminismus, schließlich die Schlussfolgerung, „der Plan der Frauenbewegung sah anders aus“, suggerieren, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Armut alleinerziehender Mütter und der Emanzipationsbewegung der Frauen

Vortrag auf der Gleichstellungstagung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung am 17. und 18. September 2015 in Berlin: Genderungleichheiten in der Arbeit

„Was der Feminismus nicht gewollt hat“, lautete kürzlich eine Überschrift im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (vom 28. August 2015). Der fesche, etwas wirre, in der Sache gleichwohl zutreffende Artikel behandelte das Armutsrisiko alleinerziehender Mütter, die Vorurteile und Schwierigkeiten, als Single-Mutter einen Job zu finden, ihre Mehr-Belastung und Mehr-Arbeit. Erleichtert wird notiert: „Es ist keine Schande mehr, wenn eine Frau ohne Partner ein Kind aufzieht.“ Doch die wiederholten Anspielungen auf den Feminismus, schließlich die Schlussfolgerung, „der Plan der Frauenbewegung sah anders aus“, suggerieren, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Armut alleinerziehender Mütter und der Emanzipationsbewegung der Frauen. Ja, die Ausführungen bedienen unterschwellig ein Muster des Feminismus-Bashing, das in den Gazetten immer wieder großen Anklang findet: Irgendwie ist der Feminismus an allem schuld. Abgesehen von der fragwürdigen Personalisierung des Feminismus als einem historischen Subjekt, das dies oder das zu verantworten hat, irritiert die merkwürdige Verkehrung von Ursache und Wirkung, so als ob das Bestreben der Frauen nach gleicher Freiheit und Teilhabe die Ursache für die Misere von Frauenarmut und anhaltender struktureller Ungerechtigkeit sei. War’s da früher nicht doch besser, zumindest klüger, sich einem Mann als Ernährer anzuvertrauen?

Das Wissen um den historischen Ballast in dieser Debatte sollte uns nicht dazu verleiten anzunehmen, dass die Rolle des männlichen Familienernährers ein traditionelles Konzept sei, das seit ewigen Zeiten das Geschlechterverhältnis in der Form geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung bestimmt hat. Nein, die Ernährerrolle des Mannes ist allenfalls so alt wie die Lebensform der bürgerlichen Familie, als Leitnorm der Familien- und Sozialpolitik jedoch höchstens 150 Jahre, und war auch dann nur lebbar für eine ganz kleine Minderheit. Die Sozialgeschichte der Familie belehrt uns, dass die bürgerliche Schicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lediglich 3 bis 4 Prozent der Erwerbstätigen stellte. Je nach Abgrenzung, ob man auch die kleinen Selbständigen aus Handel und Gewerbe dazuzählte, wird ihr Anteil zum Ende des 19. Jahrhunderts auf allenfalls 15 Prozent der Bevölkerung geschätzt (Kocka 1988S. 13). Trotzdem, trotz der mehrheitlich anderen Familienformen hat sich die bürgerliche Familie seit dem 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung und der Durchsetzung einer kapitalistischen Produktionsweise zum Leitbild, Vorbild und Sehnsuchtsort privaten Glücks entwickelt. Wie ist das zu erklären?

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