Atempause

<strong>Feminismus als demokratisches Projekt</strong><br>Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1999<br><br> Viel Opportunistisches ist zu lesen über das Ende der Frauenbewegung und über den angeblich real nicht mehr existierenden Feminismus, in das sich Schadenfreude, aber auch Anbiederung mischt. Für kein anderes Thema haben seit nun zwei Jahrhunderten die Gazetten immer wieder so bereitwillig Raum zur Verfügung gestellt wie für die Annonce, dass die »zigarrenrauchende« und »verrufene« Emanzipationsbewegung der Frauen, das unziemliche Gezeter der Suffragetten und Blaustrümpfe oder das Zeitalter der Frauenrechtelei und der »Emanzen« nun endlich überwunden sei. Auffällig ist, dass in diesen Abgesängen

Feminismus als demokratisches Projekt

Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1999; ISBN 3-596-14441-8

Ins Ungarische übersetzt unter: Lélegzetvételnyi Szünet, Budapest: Balassi Kiadó 2006


Einleitung

Viel Opportunistisches ist zu lesen über das Ende der Frauenbewegung und über den angeblich real nicht mehr existierenden Feminismus, in das sich Schadenfreude, aber auch Anbiederung mischt. Für kein anderes Thema haben seit nun zwei Jahrhunderten die Gazetten immer wieder so bereitwillig Raum zur Verfügung gestellt wie für die Annonce, dass die »zigarrenrauchende« und »verrufene« Emanzipationsbewegung der Frauen, das unziemliche Gezeter der Suffragetten und Blaustrümpfe oder das Zeitalter der Frauenrechtelei und der »Emanzen« nun endlich überwunden sei. Auffällig ist, dass in diesen Abgesängen grundsätzlich von der Frauenbewegung oder dem Feminismus die Rede ist, so als ob es sich um ein Wesen oder ein organisches Gebilde handelte, das, aus Haupt und Gliedern bestehend, nun zu Grabe getragen würde, vorher aber höchst lebendig oder gesellschaftlich mächtig gewesen sei. Auf jeden Fall wird dieses Wesen für alles Mögliche verantwortlich gemacht, hat die Frauenbewegung dies oder das versäumt, findet sich billiger Beifall für allerhand Abfälliges. Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Wer war oder wer ist eigentlich die Frauenbewegung?

Machen wir uns nichts vor: Diejenigen, die sich aus dem Schutz der Normalität herauswagen, bestehende Ordnungen und Verhältnisse kritisieren, für gesellschaftlichen Wandel oder gar für radikale Veränderungen eintreten, waren und sind immer eine Minderheit, eine Avantgarde, Querköpfe oder Wegbereiterinnen für Ideen und neue Lebensweisen. Das gilt nicht nur für die Frauenbewegung. Interessant ist hierbei, wann und warum es wenigen gelingt, die Wahrnehmung vieler zu treffen, Probleme zur Sprache zu bringen, in denen die Erfahrungen und möglicherweise das Gerechtigkeitsempfinden von anderen, vielen berührt werden, ferner, unter welchen Umständen aus einzelnen viele werden, sich Gruppen bilden, die etwas bewegen wollen. Die sogenannten Radikalen, die »an die Wurzel des Übels gehen« wollen, bereiten den weniger Engagierten, Zaghaften oder Indifferenten den Weg. Heute heißt das üblicherweise: » Ich bin keine Feministin, aber… «, doch man/frau vertritt Ansichten und Ziele, die durchaus als feministische zu kennzeichnen sind. Wer ein wenig mehr als Außenansichten kennt, weiß, dass sich gerade auch die neue Frauenbewegung von Anbeginn durch Kontroversen, öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten über höchst Privates ausgezeichnet hat und dass zudem behauptet wurde, dieser private Aufruhr sei ein politischer, das heißt eine Angelegenheit von allgemeiner und gesellschaftlicher Bedeutung. Unterschiedliche Ansichten und politische Strategien waren die Folge, weil Meinung und Erfahrung jeder einzelnen Beteiligten bedeutsam und ernst zu nehmen waren. Dass die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen und die Vielfalt der Stimmen dennoch auf etwas Gemeinsames zielten – auf die Achtung, Selbstachtung und die Anerkennung und des Strebens nach Individualität auch der Frauen -, war der zündende Funke oder auch Bazillus, der ansteckend war und mobilisierend wirkte.

Wie Geschichte und Verlauf sozialer Bewegungen zeigen, sind Hochphasen der Mobilisierung und ihre »politischen Gelegenheitsstrukturen« nicht von Dauer, gleichwohl bewirken sie etwas, rufen Reaktionen hervor, im Privaten, in der Öffentlichkeit, im Falle der Frauenbewegung vor allem im Verhältnis der Geschlechter. Weil die Ordnung im Geschlechterverhältnis in allen Lebensbereichen von Bedeutung ist, sorgen Infragestellung oder Veränderung derselben für Beunruhigung, rufen Abwehr und heftige Reaktionen hervor, denn der kultivierte Boden, auf den sich die abendländische Zivilisation etwas zugutehält, gerät ins Wanken.

 »Die Revolution der Frau«, schreibt Margarete Susman in dem Essay »Das Frauenproblem in der gegenwärtigen Welt« aus dem Jahr 1926, »hat nicht einfach den gesetzhaften Verlauf und Rhythmus anderer Revolutionen: einmütiges Sich Aufbäumen gegen unerträglich gewordene Bindungen, von denen nur der nicht freiheitlich gesinnte Teil der Menschen sich zurückhält — sondern hier ist alles bunt und verwirrend gemischt. Hier bindet eine andere Macht der Freiheit gebieterisch die Hände; hier werden Ketten Kränze und Kränze Ketten. Hier werfen Traum und Zauber verwirrende Lichter und Schatten auf den Weg […]«.[1]

Es ist erstaunlich, wie modern Susmans Betrachtungen über die Frauenfrage auch im Weiteren anmuten. In solchen Einschätzungen und Schlussfolgerungen wiederholt sich ein Gewahrwerden, das ich als modern charakterisieren möchte, weil es die ganz spezifischen Erfahrungen von Frauen in der Moderne, in den politischen, sozialen und kulturellen Strömungen und Bewegungen seit der Französischen Revolution widerspiegelt. Es ist die nahezu gleichzeitige Erfahrung von Teilhabe und Ausschluss, der Widerspruch zwischen der Rede vom Menschen als Subjekt von Rechten und von der Frau als Besonderer und Benachteiligter. Der Grund für diesen Widerspruch liegt in einer Zweideutigkeit und Ambivalenz der Moderne, die auch in einer geschlechtsspezifischen Dialektik der Aufklärung zum Ausdruck kommt, indem sie gleichzeitig mit dem Versprechen der Freiheit und Gleichheit aller Menschen die Disziplinierung der Frauen zum anderen Geschlecht inszenierte. Immer waren die Frauen, die an dem Projekt der »Welterlösung« teilgenommen hatten, überrascht, was ihnen widerfuhr. Zeugnisse finden sich bereits bei den Romantikerinnen, dann in allen Phasen gesellschaftlicher Umwälzungen oder Reform und Revolution, in Deutschland insbesondere auch nach ihrem Scheitern: zum Beispiel im Kontext der 1848er Revolution, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges sowie 1949 mit der Etablierung der Bundesrepublik oder 1989 nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Immer war diesen historischen Bruchstellen oder Ereignissen ein besonderes Engagement, ein Emanzipationsschub oder die Mitwirkung von Frauen in den politischen Protest- und Demokratiebewegungen vorausgegangen. Immer waren dem Aufschwung keineswegs Etablierung, sondern eher Ernüchterung und Enttäuschung über Nichterreichtes gefolgt. Die Umstände und politischen Zusammenhänge, die Sprache und die Bilder, in denen diese Erfahrungen überliefert werden, unterscheiden sich, doch der Anlas der Beunruhigung und des Protestes bleibt seit 200 Jahren der gleiche, solange das Projekt, demokratische Verhältnisse für Männer und Frauen herzustellen, unvollendet ist.

Der Blick in die Geschichte des Feminismus dient somit nicht pädagogischen Zwecken; nur selten ist aus der Geschichte zu lernen, was zu tun ist, weil sich weder die Beteiligten noch die Bedingungen gleichen. Ebenso wenig interessiert die Frauen- und Geschlechtergeschichte lediglich als Trauerspiel in mehreren Akten, im  Gegenteil. Die Geschichte der Frauen ist ein »Fundus« bedeutsamer Erfahrungen, eine »Quelle mannigfaltiger Einsichten und Anregungen«,[2] die helfen, die politischen Rahmenbedingungen zu analysieren, zu kritisieren und mitzugestalten. Insbesondere das Wissen, dass dem Auf und Ab, den immer wieder neuen Anfängen, Abbrüchen und Flauten bisher notwendig ein Neuanfang gefolgt ist, entlastet und ermutigt.

Aus diesem Grund habe ich in einem der Aufsätze, der diesem Band zugleich den Titel gibt, zur Kennzeichnung der gegenwärtigen Situation in der Geschichte des Feminismus die Metapher der »Atempause« benutzt. Meines Erachtens geht es gegenwärtig darum, auf der Basis des Erreichten tief durchzuatmen, innezuhalten und die Kräfte neu zu sammeln. Dazu ist es notwendig, die veränderten politischen Verhältnisse in Deutschland, in Europa, in der Welt aus durchaus unterschiedlichen Geschlechterperspektiven zu analysieren und neu einzuschätzen und in der Domäne männlicher Wissenschaft, die im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse weitgehend noch immer Brachland ist, tiefer zu graben und zu forschen, selbst wenn die Ernte erst in der nächsten Frauengeneration einzuholen ist.

Die Aufsätze in diesem Band sind eine Auswahl zu einzelnen Aspekten des Themenkomplexes Geschichte und Theorie des Feminismus. Sie sind in unterschiedlichen Zusammenhängen, in gemeinsamen Projekten im Schwerpunkt Frauenforschung der Universität Frankfurt am Main oder aus Beiträgen zu Veröffentlichungen und Konferenzen entstanden. Ohne diese Kontexte, die Verankerung in der Frauenforschung und Frauenbewegung, und ohne den animierenden Austausch mit Studentinnen und Kolleginnen wären sie vermutlich nicht so geschrieben, und sie verdanken diesen viel. Mit dieser Auswahl sollen sowohl die wichtigsten Themen und Streitpunkte vorgestellt, als auch die theoretischen Ansätze diskutiert werden, die in der Bewegungsforschung zur Analyse der Frauenbewegung angewendet werden. Die These von den »langen Wellen« der Frauenbewegung stellt Traditions- und Verbindungslinien her zwischen den verschiedenen denen Phasen und Richtungen, ohne doch der Einheitlichkeit der Frauenbewegung das Wort zu reden. Insgesamt wird damit ein gesellschaftliches Erfahrungs- und Problemfeld untersucht, das in der Soziologie wie auch in der Geschichtswissenschaft immer wieder in dem Verdacht steht, wissenschaftliches Erkenntnisinteresse mit politischen Optionen zu verknüpfen. Diese Verbindung soll hier nicht geleugnet, im Gegenteil, methodisch offengelegt werden, um die gemeinsame Zielsetzung von Frauenforschung und Frauenbewegung nicht zu verschleiern. Es ist tatsächlich diese Verknüpfung von Erinnerungsarbeit, Aufklärung und Analyse, die die Beschäftigung mit dem Feminismus als sozialer Bewegung und politischer Theorie so aufregend und angreifbar macht. Deshalb steht diese Thematik im Zentrum der Frauen- und Geschlechterforschung und eines entsprechenden Lehrplans.

In der Lehre an der Universität, aber auch in vielen außeruniversitären Diskussionen und internationalen Zusammenhängen habe ich die Erfahrung gemacht, dass — trotz aller Skepsis der jungen Frauen gegenüber dem komplizierten und gesellschaftlich nach wie vor ungesicherten »Erbe der Mütter» — in der Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, mit dem Wissen um frauenbewusste Vorgängerinnen und bei der Rezeption feministischer Vorarbeiten immer wieder Funken überspringen. Denn was meistens übersehen wird, wenn wir schon bei diesem Bild bleiben: Die Funken sind, einmal in der Welt, auch wenn sie keinen Flächenbrand auslösen, nicht mehr zu löschen, ebenso wenig wie gegen den Bazillus der Emanzipation bisher ein Heilkraut oder eine Rezeptur gefunden wurde. Nach wie vor aktuell und treffend scheint mir daher, was Rahel Varnhagen am 21. September 1830 in einem Brief an Heinrich Heine schrieb:

»Kein >Jungfernkranz<, kein Elephant über Theaterbrücken; keine Wohltätigkeitsliste, kein Vivat; keine Herablassung; keine gemischte Gesellschaft, kein neues Gesangbuch, kein bürgerlicher Stern, nichts, nichts konnte mich je beschwichtigen«.[3]


Inhaltsverzeichnis

Einleitung,  S. 7

Die »langen Wellen« der Frauenbewegung —
Traditionslinien und unerledigte ,  S. 12

National oder International: 
Die internationalen Beziehungen der
deutschen bürgerlichen Frauenbewegung, S. 39

»Fern von jedem Suffragettentum« —
Frauenpolitik nach 1945, eine Bewegung von Frauen?  S. 62

»Halbe Demokraten« — Halbierte Demokratie?
—Frauenbewegung und Demokratie von 1848 bis heute, S. 88

Paragraph 218 und kein Ende:
Der Beitrag der Frauenbewegung zum Diskurs über eine andere Moral,  S. 106

Menschenrechte sind Frauenrechte —
Alte Fragen und neue Ansätze feministischer
Rechtskritik,  S. 129

Atempause: Die aktuelle Bedeutung der Frauenbewegungen
für eine zivile Gesellschaft,  S. 157

Die Töchter der Emanzipation  –
Das Generationenproblem in der Frauenbewegung S.179
Anmerkungen,  S. 194

Quellen S. 229

Danksagung,  S. 231


[1] Margarete Susman: Das Frauenproblem in der gegenwärtigen Welt. In: Dies: Das Nah- und Fernsein des Fremden. Essays und Briefe,  hg. und mit einem Nachwort versehen von Ingeborg Nordmann, Frankfurt/Main, 1992, S. 143-167, hier S. 147

[2] Martha Nussbaum: Onora O´Neill. Gerechtigkeit, Geschlechterdifferenz und internationale Grenzen. Ein Kommentar. In: Herta Nagl-Docekal, Herlinde Pauer-Studer (Hg.): Politische Theorie. Differenz und Lebensqualität. Frankfurt/Main, 1996, S. 451-468, hier S. 465

[3] Rahel Varnhagen: Gesammelte Werke, Bd. III. Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Hg. v. Konrad Feilchenfeldt, Uwe Schweikert, Rahel E. Steiner. München, 1983, S. 445