Über mich

Ute Gerhard

Studium
Nach meinem Abitur im Jahr 1958 studierte ich zunächst Jura (mit Abschluss des Ersten juristischen Staatsexamens), außerdem Soziologie und Neuere Geschichte. Denn erst im Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit des Rechts und seine Veränderbarkeit ist zu beurteilen, was Recht ist, was die Gesetze sagen und wessen Interessen sie dienen oder wie eine andere Gerechtigkeit zu begründen wäre. Diese interdisziplinäre Perspektive hat von da an mein Forschungsinteresse an Geschlechterfragen in Geschichte und Gegenwart geleitet.

Nach freiberuflicher Tätigkeit als Journalistin und der Geburt meiner drei Töchter promovierte ich 1977 an der Universität Bremen zum Thema Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert (Verhältnisse und Verhinderungen 1978). Es folgten Forschungsprojekte zu Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung, zu Frauenrechten im Sozialstaat sowie eine Vertretungsprofessur am Fachbereich Rechtswissenschaften II an der Universität Hamburg. Ich habilitierte mich an der Universität Hannover zum Thema Gleichheit ohne AngleichungFrauen im Recht.

Blick aus dem Büro im frankfurter Uni-Turm

Professur an der Universität Frankfurt
1987 wurde ich auf die Professur für Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt/Main berufen. Als Inhaberin des ersten Lehrstuhls für feministische Forschung an einer deutschen Universität bot sich die Chance, in der Frankfurter Tradition kritischer Gesellschaftstheorie ein Curriculum zu entwickeln, das die Perspektiven und Forschungsfragen der Frauen- und Geschlechterforschung zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Lehrplans, wissenschaftlicher Qualifikation und interdisziplinärer Forschung macht. Zusammen mit den Kolleginnen Susanne Opfermann, Brita Rang und Heide Schlüpmann gründete ich 1997 das Cornelia Goethe Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse und war seine erste geschäftsführende Direktorin.

➜ Weiteres zum Cornelia Goethe Centrum
➜ Cornelia Goethe Centrum (externer Link)

Meine Schwerpunkte in Lehre und Forschung:
– Die Geschichte der Frauenbewegungen und die Theorien des Feminismus
– Die Kritik soziologischer Theorien zum Verhältnis der Geschlechter sowie   historische und sozialwissenschaftliche Analysen zu Erwerbsarbeit, Familie und Care
– Untersuchungen zur Gleichstellungspolitik, zu Bürger*innenrechten (Citizenship) und Sozialpolitik im europäischen Vergleich
– Rechtshistorische Studien im internationalen Vergleich der verschiedenen Privatrechtssysteme der Neuzeit und zur Stellung der Frau im Öffentlichen Recht.

Redaktion Feministische Studien 1985

Feministische Diskurse und europäische Kooperationen
Die Zusammenarbeit in der Redaktion feministischer Zeitschriften wie den Feministischen StudienZeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (1983-1991) und bei L’HommeEuropäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (1995-2012) diente der Publikation innovativer Erkenntnisse der Geschlechterforschung. Doch zugleich erwies sich die Redaktionsarbeit als ein Forum für theoretische Auseinandersetzungen sowie für die Verständigung über einen notwendigen Perspektivenwechsel in den Wissenschaften und über die Konzepte und Methoden der Wissenschafts- und Gesellschaftskritik.

Auch die Beteiligung an verschiedenen europäischen Netzwerken und Projekten eröffnete Lernprozesse. Sie sind notwendig für die vergleichende Analyse der Geschlechterordnungen in einem Europa, das uns als demokratisches Projekt und Rechtsgemeinschaft vor neue Aufgaben stellt. Förderlich waren Kooperationen in den Arbeitsgruppen der Europäischen Gesellschaft für Soziologie sowie in Netzwerken transnationaler Geschlechterforschung. Insbesondere die Forschungskooperation in dem Thematischen Netzwerks Working and Mothering. Social Policies and Social Practices im TSER-Forschungsprogramm der Europäischen Union war eine Quelle produktiver Einsichten in die unterschiedlichen Strukturen und Kulturen staatlicher Wohlfahrtspolitik. Als Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien und politischer Kommissionen sowie als Gutachterin ging es immer wieder darum, für die Bedeutsamkeit von Geschlecht als kritischem Denkansatz zu werben und für Geschlechtergerechtigkeit einzutreten.

Seit 2004 emeritiert, bleibt mehr Zeit zum Schreiben, aber auch die Gewissheit:  Feministische Studien und Lehre, d.h. die gemeinsame Erarbeitung und Weitergabe von Geschlechterwissen und die Einübung in Kritik, insbesondere der Blick in die Geschichte des Feminismus und seiner Kämpfe, dienen nicht nur pädagogischen Zwecken oder dem Erwerb einer Schlüsselqualifikation. Die Geschichte der Frauen und die Reflektion über die gesellschaftlichen ,Verhältnisse und Verhinderungen‘ sind ein „Fundus bedeutsamer Erfahrungen“ und – wie Martha Nussbaum schreibt – „eine Quelle mannigfacher Einsichten und Anregungen“, die helfen, die politischen Rahmenbedingungen zu analysieren, zu kritisieren und mitzugestalten.


➜ Wie ich Soziologin wurde – eine Rekonstruktion