Herausgegeben von Ute Gerhard und Jutta Limbach
Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp 1988
ISBN: 3518 11423 9 <1400>
Aus der Einleitung
Wer sich die Verwirklichung der Rechtsgleichheit von Frauen zur Aufgabe macht, muss damit rechnen, entweder „offene Türen einzurennen“ oder auf hartnäckigen Widerstand zu stoßen; in jedem Fall sind Irrwege und Missverständnisse kaum zu vermeiden. Das liegt zum einen daran, dass die Gleichstellung von Frauen im Recht und durch Gesetz bereits ein altes, wenn nicht altmodisches Problem ist, das auch in Deutschland seit mehr als hundert Jahren auf der politischen Tagesordnung steht. Trotz wichtiger Rechtserrungenschaften — Frauenwahlrecht, Gleichheit von Mann und Frau als Verfassungsnorm — wird dennoch niemand behaupten wollen, dass die Gleichberechtigung der Frauen hier und heute verwirklicht sei. An Ungleichbehandlung gewöhnt, sind viele Frauen müde und skeptisch geworden gegenüber dem Nutzen und dem Versprechen der Gleichberechtigung.
Zum anderen aber muss gerade den Skeptischen klar sein, dass ihre Vorbehalte und ihr Desinteresse den Gegnern der Rechtsgleichheit von Frauen zugute kommt. Die Tatsache, dass jede mögliche Rechtsverbesserung für Frauen mühsam erkämpft werden musste und immer wieder erbitterten Widerstand hervorruft, ist ein Hinweis darauf, wieviel offenbar auf dem Spiel steht, wie grundlegend gleiche Lebenschancen und Berechtigungen für Frauen unsere Gesellschaft und ihr Machtgefüge verändern würden.
Rechtsfragen sind dennoch in der neuen Frauenbewegung verhältnismäßig spät untersucht worden. Obgleich die Bewegung zu Beginn über eine Rechtsforderung — die Abschaffung des § 218 — mobilisiert wurde, ist sie keineswegs als Rechtsbewegung zu kennzeichnen. Sie stützte ihre Forderungen nicht auf Rechtsnormen oder Rechtsideen, sondern auf vielfältige Erfahrungen gesellschaftlicher Ungleichheit sowie privater und struktureller Gewalt. Anders als die alte Frauenbewegung um 1900, in der die Frauenrechtlerinnen eine radikale Avantgarde bildeten, aber auch im Vergleich zu anderen Disziplinen der Frauenforschung haben sich die Juristinnen beinahe als letzte organisiert. Sie leisten Hilfe bei praktischen Rechtsproblemen, bei der Rechtsberatung in Frauenzentren und Frauenhäusern, als streitbare und solidarische Anwältinnen bei Ehescheidungs- und Vergewaltigungsprozessen.
Das Zögern oder die Verspätung mag daran liegen, dass die juristische Ausbildung zur Anpassung sozialisiert und die Gegenwehr behindert, aber auch daran, dass der neue Feminismus wie andere Alternativbewegungen die traditionellen und institutionalisierten Mittel der Politik und des Rechts als weitgehend unangemessen abgelehnt und versucht hat, Einmischung in der Form Rechtsverweigerung zu praktizieren. Entsprechend der »Iinken« Kritik an Staatlichkeit, Bürokratisierung und der zunehmenden Verrechtlichung menschlicher Beziehungen war Gleichberechtigung bei Feministinnen lange in Verruf, denn allenfalls Emanzipation konnte als Ziel gemeint sein, nicht aber die Anpassung und Angleichung an männliche Gesetzeslagen.
[…]
Wir haben uns das Thema »Rechtsgleichheit als Aufgabe« gestellt, weil wir es nach wie vor für dringlich und unerledigt halten und weil wir hoffen, durch eine interdisziplinäre wissenschaftliche Diskussion und die Bestandsaufnahme einschlägiger Forderungen zur Klärung beizutragen — durchaus in der Absicht, damit aktueller Rechtspolitik eine Richtung zu weisen. Frauenforschung oder eine Wissenschaft von den Rechten der Frauen ist notwendig interdisziplinär. Sie kommt nicht aus ohne eine historische Perspektive, in der das Gewordensein, aber auch die Veränderbarkeit gegenwärtiger Rechtsverhältnisse von Männern und Frauen herausgearbeitet wird. Um zu erklären, wie der Unterschied zwischen Männer- und Frauenrechten entstanden ist und warum dieser Unterschied so folgenschwer war, ist Rechtsgeschichte auch als Patriarchatsgeschichte zu studieren. Ebenso bleibt eine feministische Rechtswissenschaft auf die sozialwissenschaftliche Analyse der Lebenssituation von Frauen in unserer Gesellschaft angewiesen. Denn aus dem positiven Recht oder der juristischen Dogmatik allein vermag sie keinen Maßstab zur Kritik des geltenden Rechts und seiner Anwendung zu gewinnen. Die Jurisprudenz hat sich zu lange in der Abstraktion von den konkreten Lebensbedingungen der Frauen bewährt und ihre einseitigen Interessen oft genug durch die Ausgrenzung der Frauen aus der Entwicklung des »allgemeinen« Rechts verraten. Die Rechte der Frauen sind nicht mehr nur eine Frage des positiven Rechts, d. h. der Normsetzung und seiner dogmatisch richtigen Anwendung. Fällig ist vielmehr ihre Durchsetzung gegen gesellschaftliche, alltägliche und psychologische Widerstände. Das Buch präsentiert einige Beispiele rechtssoziologischer Frauenforschung und feministischer bzw. frauenorientierter Rechtswissenschaft. Da die Ergebnisse wissenschaftlichen Forschens keine Kopfgeburt sind, sondern aus Arbeitsprozessen, Diskussionszusammenhängen und materiellen Ressourcen erwachsen, kann das Was und Wie der Frauenforschung im Recht hier nicht abschließend beurteilt, sondern allenfalls in ihren Ansätzen und ersten Gehversuchen vorgestellt werden. Denn die Rechtswissenschaft ist nach wie vor eine Domäne der Männer. Trotz der stetig zunehmenden Zahl von Studentinnen in diesem Fach sind [1988] nur acht der 730 Juraprofessoren in der Bundesrepublik Frauen. Das zeigt, dass die Frauenrechtsforschung sich bisher wegen völlig unzureichender Personal- und Sachmittel gar nicht herausbilden, geschweige denn etablieren konnte.
Ausgangspunkt der feministischen Rechtskritik ist die Tatsache, dass Frauen zwar formalrechtlich den Männern gleichgestellt sind, in der Rechtswirklichkeit jedoch vielfach benachteiligt werden. Die Ansätze, die Diskrepanz zwischen Recht und sozialer Wirklichkeit zu erklären, beruhen auf der Skepsis gegenüber dem traditionellen Wissenschaftsverständnis der Rechtswissenschaft, widmen sich der Analyse der Lebenssachverhalte von Frauen und der Unangemessenheit der Rechtsnormen und ihrer praktischen Anwendung, sie kritisieren die Voreingenommenheit der juristischen Deutungsmuster, um in eine kritische Diskussion aktueller Rechtspolitik und zukünftiger Rechtsinhalte zu münden. […]
Ute Gerhard
Jutta Limbach
Inhalt
Einleitung
I. Das Recht von Frauen auf Erwerbstätigkeit
Ute Gerhard
Über Frauenalltag und Frauenrechte —
Und über die Notwendigkeit, »aus der Rolle zu fallen«
Heide M. Pfarr
Die mittelbare Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben —
Chancen eines neuen Rechtsinstituts
Christel Eckart
Wie Teilzeitarbeit zur Frauenarbeit gemacht wurde
Sabine Gensior
Teilzeitarbeit und frauenspezifischer Arbeitsmarkt
II. Gewalt gegen Frauen
Ulrike Teubner
Vergewaltigung als gesellschaftliches Problem
Forderungen zu einer Reform des Sexualstrafrechts
Carol Hagemann-White
Gleiches Recht auf körperliche Unversehrtheit?
III. Durchsetzung egalitären Familienrechts
Carola Schumann
Das Scheidungsrecht in der anwaltlichen Praxis
Wolfgang Voegeli
Frauen im Prozess der Ehelösung —
Auswirkungen des neuen Unterhaltsrechts
Erhard Blankenburg
Haben Frauen ein anderes Rechtsbewusstsein als Männer?
IV. Objektivitätsideal und sexistisches Denken in der Rechtswissenschaft
Claudia Burgsmüller
Vom Mythos einer feministischen Rechtsanwältin
Jutta Limbach
Engagement und Distanz als Probleme einer feministischen Rechtswissenschaft
Marlis Dürkop
Theorien über weibliche Kriminalität aus feministischer Sicht
Franziska Pabst/ Vera Slupik
Das Frauenbild im zivilrechtlichen Schulfall
V. Gleichberechtigung als rechtspolitische Aufgabe
Hanna Beate Schöpp-Schilling
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit: Neuere Entwicklungen in den USA
Barbelies Wiegmann
Widerstand gegen Gleichberechtigung
Über die Autorinnen und Autoren