Frauenbewegung

„In den Brüchen der Zeit…“ 100 Jahre Frauenstudien an der Universität Frankfurt am Main

In den Brüchen der Zeit

Festvortrag auf der interdisziplinären Konferenz „Ausschließende Einschließung? 100 Jahre Frauen und Wissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main“ des Cornelia Goethe Centrums, die anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Universitätsgründung stattfand.

In: Marion Keller/Marianne Schmidbauer/Ulla Wischermann (Hg.), Ausschließende Einschließung?!, CGC online papers 1/2017, S. 7-20,


In den Brüchen der Zeit… ist das Zitat eines Titels der Zeitschrift Feministische Studien, die im Jahr 1982 mit ihrer ersten Nummer erschien und deren Redaktion ich das Glück hatte anzugehören – und zwar im debattierfreudigen Kreis einer Reihe von Wissenschaftlerinnen, von denen mehrere wenig später die erste Generation der Frauenprofessuren in der BRD besetzen sollten. Die Redaktionssitzungen fanden regelmäßig im Institut für Sozialforschung statt, ein Gastrecht, das Ludwig von Friedeburg freundlich gewährte und zu dem Christel Eckart die Schlüsselgewalt innehatte. Für mich waren die Feministischen Studien damals der Drehpunkt feministischen Theoretisierens und der Vergewisserung, dass es möglich wäre, aus kritischer Distanz die mit der neuen Frauenbewegung erneut aufgeworfenen Probleme in den Geschlechterverhältnissen in den Wissenschaft en zum Thema zu machen. Wie ambivalent und wie kühn den Beteiligten dieses Vorhaben erschien, wird an manch vorsichtiger und zugleich programmatischer Formulierung in der ersten Nummer deutlich, wenn es darum ging, „Spurensicherung der Zeiten von Frauen“ zu treiben bzw. zu fragen, „wo und wie Frauen in den verschiedenen Schichten gesellschaftlich anerkannter Zeiten eingepasst oder aus ihnen ausgegrenzt“ wurden (Woesler de Panafieu 1982: 5). Die Rede war vom „Aufbruch aus männlicher Zeit“, vom Ernstnehmen der Erfahrungen von Frauen, von sexistischer Arbeitsteilung, von „Hausarbeit und Industriearbeit“ (ebd.), – Begriffe und Konzepte, die die Geschlechterforschung bis heute profilieren.
Mein Blick über die 100 Jahre Frauenstudien an der Universität Frankfurt ist durch diese Standortbestimmung „zwischen den Zeiten“ geprägt. Und welche Beschreibung der Geschichte von studierenden Frauen oder Wissenschaftlerinnen im so dramatischen 20. Jahrhundert würde besser passen als der Titel „In den Brüchen der Zeit“? Es ist eine Geschichte der Aufbrüche und jähen Abbrüche, der Zulassung und der Vertreibung, des Ein- und Ausschlusses, von Geschichtsverlusts und der doch immer wieder neuen Chancen und „Gelegenheitsstrukturen“.

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Abschied vom männlichen Familienernährer – zur Geschichte eines langsam verschwindenden Geschlechtermodells

Vortrag auf der Gleichstellungstagung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung am 17. und 18. September 2015 in Berlin: Genderungleichheiten in der Arbeit

„Was der Feminismus nicht gewollt hat“, lautete kürzlich eine Überschrift im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (vom 28. August 2015). Der fesche, etwas wirre, in der Sache gleichwohl zutreffende Artikel behandelte das Armutsrisiko alleinerziehender Mütter, die Vorurteile und Schwierigkeiten, als Single-Mutter einen Job zu finden, ihre Mehr-Belastung und Mehr-Arbeit. Erleichtert wird notiert: „Es ist keine Schande mehr, wenn eine Frau ohne Partner ein Kind aufzieht.“ Doch die wiederholten Anspielungen auf den Feminismus, schließlich die Schlussfolgerung, „der Plan der Frauenbewegung sah anders aus“, suggerieren, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Armut alleinerziehender Mütter und der Emanzipationsbewegung der Frauen. Ja, die Ausführungen bedienen unterschwellig ein Muster des Feminismus-Bashing, das in den Gazetten immer wieder großen Anklang findet: Irgendwie ist der Feminismus an allem schuld. Abgesehen von der fragwürdigen Personalisierung des Feminismus als einem historischen Subjekt, das dies oder das zu verantworten hat, irritiert die merkwürdige Verkehrung von Ursache und Wirkung, so als ob das Bestreben der Frauen nach gleicher Freiheit und Teilhabe die Ursache für die Misere von Frauenarmut und anhaltender struktureller Ungerechtigkeit sei. War’s da früher nicht doch besser, zumindest klüger, sich einem Mann als Ernährer anzuvertrauen?

Das Wissen um den historischen Ballast in dieser Debatte sollte uns nicht dazu verleiten anzunehmen, dass die Rolle des männlichen Familienernährers ein traditionelles Konzept sei, das seit ewigen Zeiten das Geschlechterverhältnis in der Form geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung bestimmt hat. Nein, die Ernährerrolle des Mannes ist allenfalls so alt wie die Lebensform der bürgerlichen Familie, als Leitnorm der Familien- und Sozialpolitik jedoch höchstens 150 Jahre, und war auch dann nur lebbar für eine ganz kleine Minderheit. Die Sozialgeschichte der Familie belehrt uns, dass die bürgerliche Schicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lediglich 3 bis 4 Prozent der Erwerbstätigen stellte. Je nach Abgrenzung, ob man auch die kleinen Selbständigen aus Handel und Gewerbe dazuzählte, wird ihr Anteil zum Ende des 19. Jahrhunderts auf allenfalls 15 Prozent der Bevölkerung geschätzt (Kocka 1988S. 13). Trotzdem, trotz der mehrheitlich anderen Familienformen hat sich die bürgerliche Familie seit dem 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung und der Durchsetzung einer kapitalistischen Produktionsweise zum Leitbild, Vorbild und Sehnsuchtsort privaten Glücks entwickelt. Wie ist das zu erklären?

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Feministische Perspektiven in der Soziologie – Verschüttete Traditionen und kritische Interventionen*

Mittagsvorlesung auf dem 35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main 2010: „Feministische Perspektiven in der Soziologie: Verschüttete Traditionen und kritische Interventionen“, in: Transnationale Vergesellschaftungen. Verhandlungen der 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, hg. v. Hans-Georg Soeffner, Wiesbaden: Springer 2013 Bd. 2, 757-773. Überarbeitet in: „Für eine andere Gerechtigkeit…“, S. 249-276

In der Geschichte der Soziologie ist es immer noch geboten, nach dem besonderen Beitrag von Frauen zu dieser Disziplin zu fragen, auch 100 Jahre nach Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, zumal dann, wenn selbst in neuesten Veröffentlichungen anlässlich ihres Jubiläumskongresses die Geschichte der Soziologie wiederum als exklusiv männliche konstruiert wird. Dabei geht es mir nicht um die Rehabilitation einzelner Autorinnen oder um eine eigene, spezifisch weibliche Traditionsbildung, auch nicht nur um den Versuch, Lücken zu schließen im Sinne der Addition oder Ergänzung einer bisher einseitigen Kanonbildung. Vielmehr leitet mich die weit kühnere These, dass das Verschweigen bzw. die Ausblendung des Beitrags von Frauen aus dem soziologischen Diskurs unser Wissen über gesellschaftliche Wirklichkeit verfälscht und die Soziologie selbst immer wieder daran gehindert hat, zentrale Problemstellungen im modernen Vergesellschaftungsprozess empirisch oder theoretisch angemessen zu analysieren. Wenn die Soziologie als theoretisch und methodisch angeleitete Erfahrungswissenschaft ihre Ergebnisse und Analysen als überprüfbar und nachvollziehbar und damit als valide bezeichnen will, so muss die systematische Nichtbeteiligung einer bestimmten Kategorie von Menschen, von Frauen, an der Erforschung sozialer Sachverhalte und der Deutung ›sozialer Tatsachen‹ sowie die Nichtberücksichtigung ihres Erfahrungsraums zwangsläufig zu unvollständigen oder verzerrten Ergebnissen führen. Dies ist umso widersprüchlicher, als gerade in der Gründungszeit der neuen Wissenschaft die gesellschaftlichen Vorannahmen und Erwartungen einseitig dem weiblichen Geschlecht die Zuständigkeit für das ›Soziale‹, die Pflege und Praxis der sozialen Beziehungen überantworteten, und die Gründungsväter (allen voran Lorenz von Stein, aber auch Auguste Comte, Frédéric Le Play, Wilhelm Heinrich Riehl, ebenso Ferdinand Tönnies u.a.) den Wirkungskreis der Frau, die Familie, als soziale Basiseinheit einer von Krisen geschüttelten Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Gesellschaftsanalyse stellten, um ihr eine unentbehrliche, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stabilisierende Rolle zuzuschreiben.

Nun ist die besondere Nähe der Frauen zur Soziologie und zugleich die Affinität zwischen Frauenfrage und sozialer Frage in den Anfängen der Soziologie schon mehrfach thematisiert worden, suchte doch die neue um Anerkennung ringende Wissenschaft spezifische Antworten auf die Krisenphänomene der modernen Gesellschaft zu geben. Dabei stützt sich Theresa Wobbe mit ihrer These von der »Wahlverwandtschaft« zwischen der »Soziologie und den Frauen auf dem Weg zur Wissenschaft« auf eine Klassikerin sozialwissenschaftlicher Frauenforschung, auf Viola Klein und ihr 1946 erschienenes Buch The Feminine Character. Denn schon Klein begründet die besondere Affinität von Frauen zur Soziologie (»the peculiar a nity between the fate of women and the origin of social science«) mit einem doppelten Argument:

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